Mit Schreiben vom 04. September 2024 folgte das BMF zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) aus den Jahren 2021 (BFH, Urteil v. 28.09.2021 – VIII R 25/19) und 2022 (BFH, Urt. v. 28.09.2022 – VIII R 20/20) zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen.
Während sich der Gewinnverteilungsschlüssel bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich an den Anteilen der Gesellschafter am Stammkapital orientiert, zeichnen sich inkongruente bzw. disquotale Gewinnausschüttungen dadurch aus, dass sie von dieser Verteilung abweichen. Derartige Ausschüttungen können bereits im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein oder sich aus Beschlüssen der Gesellschafter ergeben.
In der Vergangenheit hatte die Finanzverwaltung derartige inkongruente Ausschüttungen teilweise nicht akzeptiert, was dazu führte, dass gleichwohl eine quotale Gewinnausschüttung angenommen wurde. In der Folge wurde dem Gesellschafter, der tatsächlich keine Gewinnausschüttung erhalten hatte, eine verdeckte Gewinnausschüttung zugerechnet und darüber hinaus die Prüfung des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) eingeleitet.
Von dieser Linie ist die Finanzverwaltung nunmehr mit dem BMF-Schreiben vom 04. September 2024 abgewichen und hat sich der anderslautenden Rechtsprechung des BFH angeschlossen. In dem Schreiben wird anerkannt, dass inkongruente Gewinnausschüttungen steuerrechtlich anzuerkennen sein sollen, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Das Schreiben des BMF enthält daneben eine (nicht abschließende) Aufzählung von Sachverhalten, in denen von einer steuerlichen Anerkennung ausgegangen werden kann.
Bei Gewinnausschüttungen einer GmbH sei dies insbesondere in folgenden Konstellationen der Fall:
Wenn im Gesellschaftsvertrag von der – in § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ausdrücklich vorgesehenen – Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, die Gewinnverteilung nach einem abweichenden Maßstab vorzunehmen. Eine nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrages bedarf der Zustimmung derjenigen Gesellschafter, die von dieser Veränderung nachteilig betroffen sind.
Wenn der Gesellschaftsvertrag eine sog. Öffnungsklausel enthält, wonach mit Zustimmung der davon beeinträchtigten Gesellschafter eine Änderung der satzungsmäßigen bzw. gesetzlichen Gewinnverteilung beschlossen werden kann. Je nach Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages, bedarf der Beschluss der dort vorgesehenen Gesellschaftermehrheit.
Dem Urteil des BFH aus 2022 (Urteil v. 28.09.2022 – VIII R 20/20) folgend, erkennt die Finanzverwaltung nun auch punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse über inkongruente Gewinnausschüttungen an, sofern diese in der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst wurden und von keinem Gesellschafter angefochten werden können. Entscheidend soll dabei sein, dass sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, so dass der Gesellschaftsvertrag dadurch zwar (punktuell) verletzt, nicht aber mit Wirkung für die Zukunft geändert wird.
In Anlehnung an das Urteil des BFH aus 2021 (Urteil v. 28.09.2021 – VIII R 25/19) sollen nunmehr außerdem zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich anerkannt werden. Dabei handelt es sich um Gesellschafterbeschlüsse, nach denen der Anteil eines Mehrheitsgesellschafters ihm nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Rücklage eingestellt wird. Dies soll auch dann gelten, wenn zugleich die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Das BMF stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Einstellung eines Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage bei einem herrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen (nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i.V.m. 11 Abs. 1 S. 1 EStG) führt.
Gleichzeitig stellt das BMF für die Gewinnausschüttungen von Aktiengesellschaften fest, dass inkongruente Gewinnverteilungen dort weiterhin nur dann anerkannt werden, wenn diese bereits gem. § 60 Abs. 3 AktG in der Satzung vorgesehen sind. Öffnungsklauseln oder satzungsdurchbrechende Beschlüsse – wie sie bei der GmbH nunmehr anerkannt werden – erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
Die Klarstellung des BMF, dass die Finanzverwaltung der Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen folgt, ist zu begrüßen. Sie schafft – jedenfalls für die ausdrücklich benannten Fälle der Gewinnausschüttung bei einer GmbH – Rechtssicherheit und ermöglicht damit eine verlässliche steuerliche Planung in diesem Bereich.
Offen bleibt hingegen die Frage, ob inkongruente Gewinnausschüttungen als Schenkung unter den Gesellschaftern zu werten sind und damit Schenkungsteuer auslösen können. Dafür müssten sie als freigebige Zuwendung (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) qualifiziert werden, was im Einzelfall unterschiedlich beurteilt werden dürfte.