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Aktuelles

07.10.2021

Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuerforderungen

Mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) hat das BVerfG entschieden, dass die sogenannte Vollverzinsung nach § 233a AO in Teilen verfassungswidrig ist. Beanstandet wurde, dass der Gesetzgeber den festen Zinssatz seit 2014 nicht angepasst hat. Die Abgabenordnung legte bisher die Zinsen für jeden Monat mit 0,5 %, mithin 6 % p.a. fest.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können einer Verzinsung unterliegen. Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem sogenannten Unterschiedsbetrag, ist dieser zu verzinsen. Nach dem Grundsatz der Vollverzinsung ist der Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer und ihrer Festsetzung betroffen. Der Zinslauf beginnt grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Von der Vollverzinsung sind somit lediglich Steuerpflichtige betroffen, deren Steuer erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. Für die Verzinsung sind die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung unbeachtlich. Praktische Bedeutung dürfte die Vollverzinsung insbesondere für geänderte Steuerfestsetzungen nach einer Außenprüfung haben.

Es wird angenommen, dass der Steuerschuldner, deren Steuer erst später festgesetzt wird, einen fiktiven Steuervorteil erhalte. Grundgedanke der Vollverzinsung ist, dass ein Ausgleich dafür geschaffen werden soll, dass die Steuern bei den Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden.

Das BVerfG entschied, dass diese Vollverzinsung ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig sei. Begründend trug das BVerfG u.a. vor, dass eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern vorliege, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt würden, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt worden sei. Lediglich die erst genannten Steuerschuldner seien zinszahlungspflichtig. Diese Ungleichbehandlung erweise sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß. Für in das Jahr 2014 fallende Zeiträume sei diese Ungleichbehandlung, so das BVerfG, verfassungswidrig. Der typisiert festgelegte Zinssatz habe sich im Laufe der Zeit unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident realitätsfern erwiesen.

Aufgrund des einheitlichen Regelungskonzepts des Gesetzgebers beschränkt sich die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO nicht nur auf Nachzahlungszinsen zulasten der Steuerpflichtigen, sondern umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.

Zu beachten ist allerdings, dass für die Jahre 2014 bis 2018 die verfassungswidrige Regelung – laut des BVerfG - zugunsten des Fiskus angewendet werden dürfe. Erst ab dem Zeitraum des Jahres 2019 darf die bestehende gesetzliche Regelung nicht mehr verwendet werden. Das BVerfG hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für die Verzinsung ab dem 01.01.2019 zu erlassen.

Die gesetzliche Neuregelung soll sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstrecken und alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfassen. Liegt eine Zinsfestsetzung für den Zeitraum ab 01.01.2019 vor, ist u.a. zu unterscheiden, ob ein unanfechtbarer Zinsbescheid oder ein Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vorliegt. Ist der Bescheid bereits unanfechtbar, ist er nicht wegen des Beschlusses des BVerfG aufzuheben oder zu ändern, mithin ist ein solcher Bescheid weiterhin bestandskräftig, aber die Vollstreckung nicht mehr zulässig. Sollten die Zinsen dagegen bereits entrichtet worden sein, hat der Zinsschuldner keinen Anspruch gegen die Finanzbehörde aus ungerechtfertigter Bereicherung. Erfolgte dagegen die Zinsfestsetzung in dem betroffenen Zeitraum unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gilt grundsätzlich die neue Zinsfestsetzung.

Bis zur Neuregelung hat das Bundesministerium für Finanzen (BMF) mit Schreiben vom 17.09.2021 – IV A 3 – S 0338/19/10004:05 den Beschluss des BVerfG umgesetzt.

Fazit

In der Zwischenzeit gilt es mithin insbesondere darauf zu achten, dass die von der Regelung betroffenen Zinsen vorläufig festgesetzt werden, oder ein Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben wird, damit die Neuregelung zur Anwendung kommen kann.