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Aktuelles

19.08.2019

Widerruf und Gebot des fairen Verhandelns bei Aufhebungsverträgen

Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob und welche Möglichkeiten bestehen, sich von einem Aufhebungsvertrag, der von einem Arbeitnehmer in dessen Wohnung geschlossen wurde, zu lösen.

Der Lebenspartner der Beklagten (Arbeitgeberin) suchte die Klägerin (Arbeitnehmerin) in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorsah. Die Klägerin unterschrieb den Aufhebungsvertrag. Wenige Tage später erklärte die Klägerin die Anfechtung des Vertrags und hilfsweise den Widerruf der Zustimmung zum Vertragsschluss. Die Beklagte hielt an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest. Die Klägerin erhob daraufhin Klage gerichtet auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertag beendet wurde. Im gerichtlichen Verfahren behauptete die Klägerin, sie sei krank gewesen und habe den Aufhebungsvertrag unter Einfluss von Schmerzmitteln unterschrieben und also ohne, dass ihr die Auswirkungen in diesem Zeitpunkt bewusst gewesen wären. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und an dieses zurückverwiesen.

Zur Begründung führt es aus, dass zwar weder ein Anfechtungsgrund vorliege noch der Klägerin ein Widerrufsrecht nach den Widerrufsvorschriften bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zustehe. So sei der Anwendungsbereich für die Widerrufsvorschriften nicht eröffnet. Aus der Gesetzbegründung ergebe sich eindeutig, dass der Anwendungsbereich bewusst auf Verträge über Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung beschränkt sei, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankomme, wo der Aufhebungsvertrag geschlossen wurde.

Nicht geprüft habe das Landesarbeitsgericht allerdings, ob der Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das sog. Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragshandlungen, z. B. weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, mit dem Gebot des fairen Verhandelns begegnet werden. Es handele sich hierbei um eine vertragliche Nebenpflicht i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, welche die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners vor unzulässiger Beeinflussung schützen und so ein Mindestmaß an Fairness im Rahmen des Vertragsschlusses sichern soll. Dies sei z. B. dann nicht mehr gewährleistet, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie oder überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder sogar unmöglich mache oder aber die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche erfolge. Für einen solchen Verstoß seien Anhaltspunkte im Sachverhalt erkennbar. Da das Landesarbeitsgericht dazu bisher keine Feststellungen getroffen hatte, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht selbst entscheiden, sondern hat den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Es kommt also im Ergebnis immer auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei zu berücksichtigen ist, dass es nicht um die Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation gehe, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt, stellt keinen Verstoß dar.

(Quelle: BAG, Urteil v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18)